Helmut Schmidt wurde in der Wahl 1976 als Kanzler bestätigt. Der »Weltökonom« setzte sich gegen den Herausforderer Helmut Kohl durch. »Adenauers Enkel« aber legte mit einem sehr guten Ergebnis der CDU/CSU das Fundament für seine Amtsübernahme sechs Jahre später.
1976 Zwei Sieger namens Helmut
Die Bundestagswahl am 3. Oktober 1976 hat Helmut Kohl zum Kanzler gemacht. Nicht direkt natürlich. Der »schwarze Riese« aus der Pfalz, erstmals Kanzlerkandidat der Union, konnte die Wahl nicht gewinnen. Helmut Schmidt blieb Kanzler einer sozialliberalen Koalition. Aber Kohl schob die Union wieder deutlich vor die SPD, die 1972 in der »Willy-Wahl« erstmals vor der CDU/CSU gelandet war. Die Union schaffte es auf 48,6 Prozent, ihr zweitbestes Ergebnis, nur Konrad Adenauer hatte 19 Jahre zuvor besser abgeschnitten. »Adenauers Enkel« (so Kohl über sich) saß damit fest im Sattel – jedenfalls in der CDU als unangefochtener Partei- und Fraktionschef. In der CSU herrschte jedoch in jenen Jahren der ruhelose Geist Franz Josef Strauß. Der hatte den eher moderaten Kohl zu dem polarisierenden Slogan »Freiheit statt Sozialismus« bekehrt. Helmut Schmidt und die sozialliberale Koalition (der technokratisch klingende Wahlkampfslogan lautete »Modell Deutschland«) konnten unbeirrt davon weiterregieren, aber mit der knappen Mehrheit von nur noch fünf Sitzen. Und ein konfliktfreies Bündnis war Rot-Gelb nach 1976 nicht mehr. Schmidt war in seiner SPD, deren Profil sich in der Ära Brandt gewandelt hatte, kein integrierender Faktor. Der Kanzlerkurs des Krisenmanagements passte zwar in die neue Weltlage nach der massiven Wirtschaftskrise von 1973. Aber er passte nicht zu einer Sozialdemokratie, in der viele weiter von einem gesellschaftspolitischen Reformkurs träumten. Der »Weltökonom« konnte die Strömungen der Partei nicht zusammenführen. Er war ein Mann der Mitte, aber die SPD wurde immer stärker von Kräften geprägt, welche die Partei stärker links verorten wollten. Die FDP begann mit dem Partner zu fremdeln, Kohl hielt die Arme offen.
Streitbare Persönlichkeiten
Gabriele Becker-Smith erzählt von ihrer ersten Wahl
Mein Name ist Gabi Becker-Smith. Ich bin 58 Jahre alt, in Hilden bei Düsseldorf geboren und wohne seit 36 Jahren in Berlin.
Meine erste Wahl war am 3. Oktober 1976 und ich war erst seit fünf Tagen 18 Jahre alt. Ich habe in Ratingen gewählt, in einer Grundschule im Ortsteil Hösel. Das war fußläufig. Ich bin zusammen mit meinem Vater hingegangen und habe vor Ort noch Leute getroffen, die ich kannte. Das war für mich sehr spannend. Ich rief sogar hinterher die anderen Leute aus meiner Klasse an, die auch Erstwähler waren, das waren sechs oder sieben Leute, und wir haben uns ausgetauscht.
Wir haben zu Hause sehr viel über Politik geredet. Wir haben uns Bundestagswahlen angeguckt. Ich hatte, zumindest in meinen Augen, Ahnung. Wir hatten Politikunterricht und meine Eltern haben mir früh beigebracht, politisch zu denken, in dem Sinne, dass man wählen geht. Es gab nicht die Diskussion, nicht wählen zu gehen.
Inhaltlich haben wir uns in der Schule im Politikkurs ausgetauscht. Alle waren in dem Kurs. Neben den sozialen Themen ging es um den Radikalenerlass, Terrorismusgesetze und die Atommeiler von Brockdorf. Dort gab es große Demonstrationen, an denen ich nicht teilgenommen habe, weil ich im Internat war. Im Kurs haben wir über alles geredet, was von links- bis rechtsradikal unterwegs war. Und vor allem haben wir uns an Figuren wie Franz-Josef Strauß, Herbert Wehner, Helmut Schmidt und Willy Brandt gerieben.
Franz-Josef Strauß war damals eine sehr einflussreiche Figur. Der war in unseren Augen erstens korrupt, zweitens rechts und drittens auch noch CSU-rechts. Es war für uns indiskutabel ihn zu wählen, aber er war nicht indiskutabel in dem Sinne, dass man sich mit ihm beschäftigt hat.
Ich habe damals SPD und FDP gewählt. Ich hätte natürlich auch zweimal SPD wählen können, tat es aber nicht, weil wir im Politikunterricht und zu Hause gelernt haben, dass man eventuell eine Stimme verschenkt. In dieser Wahl 1976 hatte die CDU zwar die Mehrheit, aber dadurch, dass SPD und FDP eine Koalition bilden konnten, haben sie gewonnen.
Es gibt einen Wandel für mich, wie ich 1976 gewählt habe und wie es jetzt ist. Ich bin Dozentin an einer Universität hier in Berlin und es ist wesentlich voraussehbarer, wie heute gewählt wird. Damals war es sehr spannend, weil wir nicht so richtig wussten, wie es ausgehen wird; das ist heute anders. Die Studierenden reiben sich nicht mehr an diesen Figuren, weil es diese Personen, an denen man sich reiben kann, nicht mehr gibt. An Angela Merkel kann man sich aus meiner Sicht nicht reiben. Auch nicht an Martin Schulz. An ihm vielleicht noch eher. Aber solche Figuren hatten wir damals und dadurch konnten wir uns leichter entscheiden.
Plakate im Wahlkampf 1976
Titelseite des Tagesspiegel nach der Wahl
5. Oktober 1976