Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß drängte der Union 1980 seine Kanzlerkandidatur auf. Er polarisierte und verlor deutlich – es war die »Stoppt Strauß«-Wahl. Der Bayer verschaffte damit der schon angeschlagenen sozialliberalen Koalition noch zwei Jahre an der Macht.
1980 Wie ein wilder Stier
Der Bundestagswahl am 5. Oktober 1980 ging einer der denkwürdigsten Wahlkämpfe in der Geschichte der Bundesrepublik voraus. Das lag vor allem an Franz Josef Strauß. Seine Abneigung gegen den als mittelmäßig erachteten CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl trieb den Bayern 1980 in die Kanzlerkandidatur, die er auch bekam. Strauß war wie ein wilder Stier. Sein fulminant-furioser Auftritt im Wahlkampf war ein Geschenk für den angeschlagenen Kanzler Helmut Schmidt, dessen zweite Amtszeit seit 1976 wiederum durch Krisenmanagement geprägt war: wirtschaftspolitisch, außenpolitisch, in der eigenen Partei. Zudem machte ihm der Terror der RAF zu schaffen, vor allem im Jahr 1977. Schmidt machte nicht den Fehler, auf den Polarisierungsversuch durch Strauß einzugehen und spielte im Wahlkampf seine Lieblingsrolle des moderaten, weitsichtigen Weltökonomen. Daran arbeitete sich der bayerische Ministerpräsident vergeblich ab. Der Slogan »Stoppt Strauß« vereinigte eine breite Wählerschicht hinter den Regierungsparteien. Die SPD konnte sich dadurch halten, die FDP zog moderate CDU-Anhänger an. Strauß lieferte das schlechteste Ergebnis der CDU/CSU seit 1953 ab. Sein bundespolitischer Einfluss war damit erledigt. Kohls Weg zur zweiten Kanzlerkandidatur und damit ins Kanzleramt war dagegen praktisch gesichert, auch weil er Strauß ohne größeren Machtkampf den Vortritt gelassen hatte (Angela Merkel ging 2002 im innerparteilichen Duell mit Edmund Stoiber ähnlich vor). Die rot-gelbe Koalition war numerisch gestärkt. Der Wahlsieg verschleierte jedoch die Risse, die sich in der SPD und im Regierungsbündnis bereits aufgetan hatten. Die Differenzen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik wuchsen. Kohls moderater Oppositionskurs eröffnete der FDP die Möglichkeit des Koalitionswechsels. Anmerkung am Rande: 1980 traten die Grünen erstmals bei einer Bundestagswahl an.
Eine durchzechte Nacht
Jasmin Semken erzählt von ihrer ersten Wahl
Ich bin Jasmin Semken. Ich bin 55 Jahre alt. Dementsprechend war ich 1980 gerade 18 Jahre alt, als ich zum ersten Mal wählen durfte.
Ich bin in Hamburg geboren und aufgewachsen. Am Samstag vor der Wahl waren meine Freunde und ich ziemlich aufgeregt. Ich hatte einen alten väterlichen Freund, mit dem ich am Samstagabend um die Häuser gezogen bin. Wir waren sehr alkoholisiert: Es musste immer Fernet Branca getrunken werden. Es gab sehr viel Fernet Branca, daran erinnere ich mich jetzt erst wieder. Es wurde also sehr spät und sehr früh. Und wir saßen nächtens noch am Tisch und diskutierten, was denn das Richtige zu wählen wäre.
Mein väterlicher Freund Werner sagte: »Es macht Sinn, die FDP zu wählen.« Er würde die FDP wählen. Ich war nicht so dafür. Ich war aber auch nicht so dafür, die SPD zu wählen, entschied mich dann aber, es doch zu tun.
Wir sind dann irgendwann morgens – es dämmerte schon – schlafen gegangen. Sonntagmittags weckte mich Werner und sagte: »Sag mal, willst du deine erste Wahl verschlafen? Steh auf und geh wählen!« Und das habe ich dann auch gemacht.
Ich war eher links; das bin ich immer noch. Wir hatten uns alle der Republik Freies Wendland angeschlossen. Ich hatte auch tatsächlich einen Pass der Republik Freies Wendland. Wir waren alle nicht so pro-Helmut-Schmidt, aber sehr anti-Franz-Josef-Strauß. Die Frage, die sich uns damals stellte, war: Gibt es eine Alternative oder müssen wir uns ein kleineres Übel aussuchen? Ich glaube sogar, dass es die Grünen schon gab und dass wir im Freundeskreis gesagt haben: »Das ist ja Quatsch, das ist eine verschenkte Stimme. Da kann man genauso gut DKP wählen. Erst einmal gucken, was da passiert.«
Ich war wirklich nur ganz kurz ganz froh, dass Helmut Schmidt gewonnen hat. Das war dann eben das kleinere Übel. Aber nachdem dann diese SS-20 und Pershing-Geschichten und so etwas kamen, und Brockdorf zunehmend zum Thema wurde, und es immer gefährlicher wurde, im Wendland vor Ort zu sein, habe ich mich nach der Wahl 1980 doch zwei-, drei-, fünfmal gefragt, ob das die richtige Wahl war. Heute kann ich sagen, dass ich mir nicht mehr sicher bin, dass es richtig war, die SPD zu wählen.
Bei dieser Wahl finde ich die FDP wieder mal schrecklich, wie schon 1980. Ich werde das Bündnis Grundeinkommen wählen, weil ich finde, dass bedingungsloses Grundeinkommen ein wahnsinniges Thema ist. Ich verspreche mir davon, dass vielleicht – auch wenn natürlich diese Partei nicht im Bundestag sein wird – genügend Menschen ihre Zweitstimme dafür abgeben, so dass es ins Bewusstsein anderer Parteien kommt, dass das ein wichtiges Thema ist.
Dann habe ich gejubelt, bei dem Beschluss der Ehe für alle. Ich bin verpartnert mit meiner Frau und wir werden das auch in die Ehe umwandeln. Aber ich sage: »So, jetzt haben wir die Ehe für alle, jetzt kann sie auch weg.« Denn ich bin durchaus keine Freundin der Ehe und dieser privilegierten Geschichte. Ich glaube, dass es sinnvollere, förderungswürdige Lebensmodelle gibt. Deswegen habe ich mich gefreut. Ehe für alle haben wir, das ist ein großer Schritt in Richtung Gleichberechtigung und Gleichstellung. Aber im Prinzip brauchen wir sie jetzt nicht mehr.
Ich weiß noch nicht, ob ich meine Erstimmte den Linken oder den Grünen gebe. Das weiß ich noch nicht, aber Zweitstimme wird Bündnis Grundeinkommen sein.
Plakate im Wahlkampf 1980
Titelseite des Tagesspiegel nach der Wahl
7. Oktober 1980