Tagesspiegel Wahl-Spezial

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1949 Adenauer
1953 Adenauer
1957 Adenauer
1961 Adenauer
1965 Erhard
1969 Brandt
1972 Brandt
1976 Schmidt
1980 Schmidt
1983 Kohl
1987 Kohl
1990 Kohl
1994 Kohl
1998 Schröder
2002 Schröder
2005 Merkel
2009 Merkel
2013 Merkel

Erste Wahl: Eine Zeitreise durch die Bundestagswahlen

Interviews mit Erstwählern, historische Plakate und die Wahlergebnisse: Tauchen Sie ein in die Situation der Wahljahre und erfahren Sie, welche Ereignisse, Themen und Personen die Bundestagswahlen seit 1949 prägten.

2002 Stoibers Niederlage, Merkels Sieg

Der bayerische Ministerpräsident ist der zweite CSU-Politiker, der sich als Kanzlerkandidat versucht. Auch er hat keinen Erfolg. Kanzler Gerhard Schröder schafft es trotz mauer Bilanz noch einmal – nicht zuletzt wegen der Grünen, die dank Außenminister Joschka Fischer ein gutes Ergebnis einfahren.

Wahlergebnis 2002 (in Prozent)
  • SPD 38,5
  • Union 38,5
  • B90/Grüne 8,6
  • FDP 7,4
  • PDS 4,0
  • Sonstige 3,0
Veränderung zu 1998
  • SPD −2,4
  • Union +3,4
  • B90/Grüne +1,9
  • FDP +1,2
  • PDS −1,1
Wahlbeteiligung
79,1 %
Regierung
  • SPD
  • B90/Grüne
Bundeskanzler
Gerhard Schröder

Die Deutschen wollten keinen Bayern als Kanzler. Das war das resignierte Fazit eines Vertrauten von Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber, nachdem der am Abend des 22. September 2002 eingestehen musste, es nicht geschafft zu haben. Dabei hatte es gar nicht schlecht ausgesehen für den bayerischen Ministerpräsidenten, denn in den Umfragen hatte die Union über weite Strecken des Wahljahres vorne gelegen. Rot-Grün hatte die Erwartungen nicht erfüllt, die vor allem mit dem fulminanten Wahlsieg der SPD vier Jahre zuvor verbunden waren. Aber Stoiber gelang es nicht, genügend Wähler zu überzeugen. Am Ende lagen Union und SPD gleichauf. Es war nicht allein die Flutkatastrophe in Ostdeutschland, die im August aus dem etwas verzagten Kanzler wieder den Macher Schröder werden ließ und damit Rot-Grün den kaum noch erhofften Wahlsieg schenkte. Auf Schröders Punktekonto stand auch sein Nein zu einer Beteiligung der Bundeswehr am beginnenden Irakkrieg des US-Präsidenten George W. Bush. Andererseits war die Arbeitslosigkeit in den rot-grünen Jahren stark gewachsen, über fünf Millionen Menschen hatten keinen Job. Doch die Bürger schienen noch nicht bereit zu sein, die Union nach vier Jahren schon wieder ans Ruder zu lassen. Angesichts des Patts der Volksparteien kam es auf die kleineren Parteien an. Und hier gelang es den Grünen (nicht zuletzt wegen Außenminister Joschka Fischer), die FDP abzuhängen, die das »Projekt 18« – mithin die Verdreifachung des Stimmenanteils von 1998 – ausgerufen hatte und ihren Spitzenmann Guido Westerwelle ernsthaft als Kanzlerkandidaten ins Rennen schickte. Rot-Grün bekam eine zweite Chance. Und ebenso Angela Merkel, die als CDU-Chefin in ihrer Partei noch keine fundierte Machtbasis besaß (und auch die Wählerschaft nicht überzeugte) und klugerweise Stoiber den Vortritt ließ. Zu den Verlierern der Wahl von 2002 gehörte auch die PDS. Sie stürzte ab, fiel auf vier Prozent und brachte auch nur noch zwei Direktkandidatinnen durch. Das Wahldesaster sollte Folgen haben: Die SED-Nachfolgepartei, im Westen nicht konkurrenzfähig, machte sich daran, in neue Kleider zu schlüpfen.

Das Arbeiterkind

Koray Kelahmetoglu erzählt von seiner ersten Wahl

Ich bin Koray Kelahmetoglu, 35 Jahre alt, bin Rapper und Sänger unter dem Namen Kor-I und meine erste Bundestagswahl war 2002.

Ich war bei meiner ersten Wahl 21 und bin durch meine Eltern zwar nicht hingezerrt, aber darum gebeten worden, hinzugehen. Meine Eltern sind politisch sehr interessiert und waren es auch damals. Und für sie war auch klar, (ich komme aus einer Arbeiterfamilie) wer gewählt werden sollte. Aber es blieb mir natürlich frei, es wurde kein Druck ausgeübt.

Das Thema soziale Gerechtigkeit war für uns als Familie mit Migrationshintergrund sehr wichtig. Ich habe es eher als eine Pflicht empfunden und noch nicht ganz verstanden, dass es auch ein Stück Freiheit ist. Menschen in anderen Ländern können nicht wählen.

Damals hat mich besonders beeindruckt, wie hart Politik für den politischen Gegner sein kann. Denn vorher war Rot-Grün schon an der Macht und die CDU war sehr, sehr knapp davor, selber an die Macht zu kommen und hat 2002 mit weniger als einem Prozentpunkt gegen die SPD verloren.

Für mich war das Thema Irakkrieg ausschlaggebend. Und im ersten TV-Duell, das damals zwischen zwei Kanzlerkandidaten stattfand – Edmund Stoiber und Gerhard Schröder – versprach der amtierende Kanzler, dass er sich am Irak-Krieg nicht beteiligen werde. Heute würde ich sagen, dass ich bei meiner ersten Wahl sehr naiv war. Wählen ist wichtig und das sehe ich heute immer noch so, aber ich habe geglaubt, ich bewirke viel mehr mit meiner einen Stimme. Und es hat mich schon enttäuscht, zu sehen, dass das, was versprochen wurde, nicht eingehalten wurde. Davon bin ich naiv ausgegangen: wenn wir sagen, wir werden uns nicht am Irakkrieg beteiligen, dann sollten wir uns auch nicht am Irakkrieg beteiligen. Es wurde damals der Regierung unterstellt, dass es einen Reformstau gebe. Man hat gesagt, man arbeite daran, man werde einiges ändern. Ich habe nicht das Gefühl, dass viel davon eingehalten wurde.

Ich gehe dieses Jahr wählen, weil ich die Demokratie retten oder schützen möchte und nicht, weil ich von einem Wahlprogramm oder irgendeiner Partei überzeugt bin. Ich bin seit Februar dieses Jahres Vater von Zwilingen – ein Junge, ein Mädchen – und überglücklich. Was mich unsicher stimmt, ist das vorher Gesagte mit der Politik: wenn ich merke, ich habe selbst eine Einstellung, bei der ich mich frage: ist die optimal oder kann man die noch ausbauen? Was gebe ich meinen Kindern weiter, wenn es irgendwann zu diesem Thema kommt? Natürlich sollen sie selber entscheiden, wen sie wählen und wie sie die Situation einschätzen. Aber ich habe etwas die Freude an der Demokratie verloren und hoffe, dass ich das nicht weitergebe.

Plakate im Wahlkampf 2002

Union
SPD
FDP
B90/Grüne
PDS

Titelseite des Tagesspiegel nach der Wahl

23. September 2002

Dieses digitale Projekt wurde umgesetzt durch Philipp Bock (Tagesspiegel Data).

Die Videointerviews führten Muhamad Abdi, Ann-Kathrin Hipp, Hendrik Lehmann, Ronja Ringelstein, Hannes Soltau, Christian Vooren und Helena Wittlich.

Die Texte zu den Wahlen schrieb Albert Funk.

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